Einsatz der dynamischen Simulation als Bemessungshilfe für Kläranlagen in Weinbaugebieten
- Weinbaukläranlagen werden während der Weinlese und -bereitung mit hohen organischen BSB5-Frachten zusätzlich zu den kommunalen Schmutzfrachten belastet. Die saisonal stark schwankende Belastung und unterschiedliche Abwasserzusammensetzung führte in der Vergangenheit zu Unsicherheiten bei der Bemessung, die entweder in zu großen Sicherheitsreserven mündeten oder sich durch ungenügende Reinigungsleistung und Betriebsstabilität offenbarten. Während für Weinbaukläranlagen mit dem Reinigungsziel "Kohlenstoffelimination" umfangreiche Untersuchungen vorliegen, besteht für Anlagen mit gezielter Stickstoffelimination ein erhebliches Wissensdefizit. Diese unbefriedigende Situation gab Anlaß zu eigenen Versuchen mit der Zielsetzung, Aufschluss über die Auswirkungen der saisonal hohen BSB5- Belastung auf die Stabilität der Nitrifikation und somit auf die Bemessung der Belebungsbecken zu erhalten. Eine Umfrage bei Betreibern von Weinbaukläranlagen bestätigte, dass für eine wirklichkeitsnahe Bemessung und wirtschaftliche Betriebsführung große Wissenslücken bestehen. Zudem erfordern die Belastungsschwankungen sehr flexible Betriebsführungs- und Regelstrategien, die oft bei der Planung nicht ausreichend bedacht wurden. Die allgemein anerkannten stationären Bemessungsansätze wie das ATV-Arbeitsblatt A 131 können für den Nachweis einer stabilen Nitrifikation nicht herangezogen werden, da aufgrund der erforderlichen Anpassungen der Biozönose an die veränderte Belastungsverhältnisse kein stationärer Zustand herrscht, der die Voraussetzung für die Gültigkeit der Ansätze ist. Während der Kampagne wird deutlich mehr Überschussschlamm produziert und abgezogen, was zur Folge hat, dass mehr Nitrifikanten aus der Belebung entfernt werden als nachwachsen können. Zur Optimierung der Bemessung bietet sich daher die dynamische Simulation an, welche die Nachbildung jeglicher instationärer Belastungsverhältnisse erlaubt. Es konnte gezeigt werden, dass das Activated Sludge Model No. 1 bei der Simulation von zwei Weinbaukläranlagen eine hinreichend gute Übereinstimmung zwischen den Simulationsergebnissen und den realen Messwerten liefert. Die Kalibrierung der Modelle muss in mehreren Stufen erfolgen. Eine dynamische Kalibrierung anhand der Stickstoffablaufkonzentrationen ist bei hoher CSB-Belastung nicht sinnvoll, da die Dynamik der Stickstoffkonzentrationsschwankungen im Ablauf im Wesentlichen durch den CSB-Abbau bestimmt werden. Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine Vorgehensweise entwickelt, die es ermöglicht auch in der Planungsphase die Modelle so zu kalibrieren, dass aussagekräftige Ergebnisse für die Bemessung und Betriebsführung erhalten werden. Anhand eines Beispiels wurde gezeigt, wie die stationären Bemessungsansätze zu einer fehlerhaften Auslegung des Belebungsbeckens führen können. Mit Hilfe der dynamischen Simulation konnten das Bemessungsergebnis kontrolliert und Optimierungsmaßnahmen hinsichtlich ihres Nutzens bewertet sowie verschiedene Betriebsführungs- und Regelstrategien optimiert werden. Speziell angepasste Bemessungsempfehlungen lassen sich aus diesen Untersuchungen jedoch nicht ableiten, da die Auswirkungen der Kampagnebelastung auf die Prozessstabilität der Nitrifikation erheblich von der kommunalen Belastung und vom Verfahrenskonzept abhängig sind. So zeigen Anlagen, die für höhere Schlammalter bemessen sind wie z.B. simultane aerobe Stabilisierungsanlagen, eine deutlich höhere Prozessstabilität als Anlagen mit niedrigeren Schlammaltern. Die dynamische Simulation ist ein sehr hilfreiches Werkzeug, Kläranlagen wirtschaftlich zu bemessen. Es ist zu wünschen, dass die dynamische Simulation in naher Zukunft als "Standardwerkzeug" vom planenden Ingenieur eingesetzt wird.