Dialogische Organisationsentwicklung
- Veränderungen sind für dynamische Organisationen selbstverständlich. Das macht es nicht selten schwer, an bekannten Mustern wie bspw. vertrauten Führungskonzepten festzuhalten. Das Zeitalter von Digitalisierung verändert auch die Anforderungen für organisationale Führungsarbeit. Demgegenüber basieren die bestehenden Führungsmethoden meist auf strukturgebenden Handlungsanweisungen, welche im Rahmen von langen Planungshorizonten das gewünschte Ziel erreichbar werden lassen. Das im Rahmen der Forschungsarbeit identifizierte Problem zeigt sich darin, dass Führungs-verantwortlichen Modelle bzw. Methoden für Ihre Führungsarbeit zur Verfügung stehen, die sich bei der Lösung von Aufgaben und Problemen vor allem linear-kausaler Handlungslogiken bedienen. Doch ist ein Führungsansatz, der sowohl Zweckorientierung als auch eine Wertorientierung beinhaltet, schwer umsetzbar, da (nach Geißler) wertorientierte Zugänge nicht zweckorientiert begründet werden können. Dabei weist Arnold darauf hin, dass einige theoretische Ansätze vorzugsweise von der Idee ausgehen, dass Aufklärungs- und Lernprozesse sowie Identitätsentwicklung von außen durch professionelle Vermittlung, Begleitung oder Beratung intentional einigermaßen wirkungssicher gestaltet werden können. So bspw. die Bürokratietheorie, Entrepreneurship, Management als Prozess oder auch die Managementsoziologie. Dass dies Führungskräfte in ihrem Lernprozess im Umgang mit Veränderungen nicht unterstützt, wie bspw. bei der digitalen Transformation in Organisationen, zeigt u. a. auch, dass bisherige Ansätze, wie Checklisten und Methoden für die verschiedenen Phasen von Organisationsentwicklung, um nur zwei Beispiele zu nennen, ein Scheitern der betreffenden Vorhaben bzw. Prozesse nicht verhindern können (rund 70% der Veränderungsaktivitäten scheitern). Dabei haben Führungskräfte meist mit ihrer Rolle die Entscheidungsbefugnis und damit die strukturelle Überlegenheit in Organisationen. Damit sind sie durch und mit ihrer Führungsarbeit ein Ausgangspunkt für den Rahmen, in welchem Organisationsentwicklung stattfindet. Der Einbezug der Mitarbeiter steht häufig im Zentrum der verfügbaren Ansätze zu Führung in organisationalen Veränderungsprozessen. Individuelles und organisationales Lernen scheint bislang noch kein wirksamer Bestandteil in Organisationsentwicklungsprozessen zu sein. Führungskräfte sehen sich Komplexitäten gegenüber, welche sich mit linearen Modellen nur bedingt lösen lassen. Dem gegenüber könnte Führung im Kontext von Organisationsentwicklung mit einem reflexiven Ansatz mehr unterstützt werden. Dabei würde, Arnold folgend, anstelle einer systematischen Perspektive mit linearer Ausrichtung vielmehr ein systemischer Blickwinkel mit reflexivem Zugang erkennbar. Dabei zeigt sich die Ambivalenz der Führungskräfte, zwischen der Suche nach Sicherheit und Orientierung, was lineare Modelle mit Abstrichen bieten, und der Alternative, dass reflexive Sichtweisen hilfreich sein können. Mit dieser Alternative ließe sich dann das Erreichen des faktischen Zieles (bspw. Neustruktur eines Verantwortungsbereiches) und darüber hinaus individuelles und in der Folge kollektives Lernen ermöglichen. Der reflexive Ansatz, welcher sich über den Bildungsbegriff, im Sinne der selbstbestimmten Suche nach Vervollkommnung, definiert (der in linearen Modellen gerade keinen Raum findet) findet hier seinen Raum. Die Fähigkeit der Selbstreflexion und des sich selbst Hinterfragens der eigenen Wahrnehmung und Deutungsmuster von Führungskräften leistet möglicherweise einen Beitrag zu ihrem Lernen. Aus der Perspektive dieser Forschungsarbeit wird unter Annahme der vorangestellten Ausführungen dann die Handhabung von Führungsarbeit in organisationalen Veränderungen anders ermöglicht. Damit steht die Auseinandersetzung mit Führung in organisationalen Veränderungen im Fokus der Forschungsarbeit. Dabei greift die Arbeit auf das Santiago-Prinzip von Arnold zurück. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Prinzips liegt darin, dass die betreffenden Handelnden zunächst eigene Wahrnehmungs- und Deutungsmuster diskursiv hinterfragen. Dieser Diskurs soll den Akteuren einen macht- und sanktionsfreien Raum ermöglichen. Selbst wenn in einer Organisation dies zunächst eine Annahme ist. Habermas ist es bewusst, dass dieser Raum nicht real existiert und dennoch ist er notwendig, um Kommunikation innerhalb sozialer Systeme überhaupt stattfinden zu lassen. Die Möglichkeit gemeinsamen Diskurs zu führen, erlaubt denen am Veränderungsgeschehen beteiligten Akteuren eine auf gemeinsam verhandelte Sinnzuweisungen getragene Form von individuellem Lernen. Dabei wird Lernen im Rahmen des dialogischen Verständnisses angenommen und unterstützt die Beteiligten, verschiedene Perspektiven einzunehmen und nicht den unreflektierten, eigenen Urteilen zu folgen. Damit wird ein diskursiver Zugang zu organisationalen Veränderungen ermöglicht. Hiermit kann ein Zusammenhang von Führung in bzw. von Organisationsentwicklungsprozessen und bildungsbezogener Entwicklung der beteiligten Akteure hergestellt werden. Bildung als die selbstbestimmte Suche nach individueller Vervollkommnung ermöglicht den Beteiligten im Veränderungsprozess eine Weiterentwicklung auf persönlicher und interpersonaler Ebene. Die Forschungsarbeit erweitert die bestehenden Erkenntnisse der linear-kausalen Ansätze zur Führungsarbeit in organisationalen Veränderungen mit dem Beitrag, dass durch den diskursiven Führungsansatz die gemeinsame, bewusste und abgestimmte Suche nach alternativen Perspektiven und Lösungsoptionen möglich ist. Der Erkenntnisbeitrag dieser Forschungsarbeit liegt darin, dass innerhalb der Theorie ein eigener Zugang aufgezeigt wird, um die Lücken zu füllen, welche die bisherigen Modelle auf-weisen. Dies umfasst einen neuen Zugang zur Führungsarbeit in Organisationsentwicklungsprozessen, der den Akteuren eine gemeinsam entwickelte und abgestimmte Sinnzuweisung in organisationalen Veränderungen ermöglicht. Dabei stellt die (betriebs-)pädagogische Handlungslogik hier den Ausgangspunkt dar, um die Individuen in ihrer selbstbestimmten Suche nach Erkenntnis und Vervollkommnung einzubeziehen. In diesem Rahmen wird gewürdigt, dass soziale Systeme die Fähigkeit haben, aus sich selbst heraus neue Ordnungsformen zu entwickeln. Leitend für diesen alternativen Lösungsansatz ist der Mangel bestehender Führungsmodelle in Organisationsveränderungen. Diesem Lösungsansatz liegt ein dialogisch-diskursiver Zugang auf organisationale Veränderungsprozesse zugrunde, welcher einen neuen Erkenntnisbeitrag im Bereich der Organisationsentwicklung darstellt. Gerade die Haltung der Akteure, sich kritisch-konstruktiv mit sich selbst auseinander zu setzen, eine Selbstreflexivität und die Wahrnehmung des Gegenübers mit einzubeziehen, erweitert ihnen den Möglichkeitsraum, Führung in Veränderungen von Organisationen nachhaltig zu gestalten. Dieses Ziel soll mit Hilfe folgender Forschungsfragen erreicht werden: In welcher Weise bewirkt eine diskursive Haltung, dass die Handlungen in organisationalen Veränderungen auf eine von den beteiligten und betroffenen Akteuren gemeinsam geteilte und getragene Verständnisbasis gestellt werden? In welcher Weise können betroffene Akteure mit Hilfe von Diskursen ihr Handeln innerhalb der Organisationsentwicklung auf der Basis von gemeinsam geteiltem und getragenem Verständnis gestalten? Dabei werden Hypothesen aufgestellt und empirisch überprüft. Für das empirische Vorgehen sind zwei Varianten eingesetzt worden, um damit Aussagen über Zusammenhänge zwischen Lücken bestehender Führungsmodelle und der gemeinsam geteilten und getragenen Verständnis- und Handlungsbasis treffen zu können: online Befragung (22 Teilnehmer): Aufgrund der Samplegröße sind keine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit aller Führungskräfte möglich. Diese Daten dienen der Orientierung zu einfach beobachtbaren Phänomenen in organisationalen Veränderungsprozessen. Experteninterviews (16 Interviews): Vertiefende Untersuchung der angenommenen Zusammenhänge bzgl. der Lücken zwischen den bestehenden Führungsmodellen und einem diskursiven Zugang in Organisationsentwicklungsprozessen. Die Auswertung erfolgt im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse. Folgende Hypothesen werden untersucht: Je mehr die Beteiligten eine gemeinsam geteilte und getragene Verständnis- und Handlungsbasis gestalten, desto wirkungsvoller lassen sich Lücken bestehender Führungsmodelle in der Organisationsentwicklung füllen. Je mehr die Beteiligten ihre Führungsrolle auf eine gemeinsam geteilte und getragene Verständnis- und Handlungsbasis stellen, desto vielfältiger ermöglichen sie allen Beteiligten, Herausforderungen in Organisationsentwicklungsprozessen mitzugestalten. Je häufiger Diskurs in Führungsbeziehungen ermöglicht wird, desto nachhaltiger entsteht eine gemeinsam geteilte und getragene Verständnis- und Handlungsbasis der Beteiligten in Organisationsentwicklungsprozessen. Die Hypothesen basieren auf den Ansätzen zur Diskurstheorie bei Foucault und Habermas. Nach Foucault dient der Diskurs als Vorgang der Herausbildung von Wahrheiten, die auf Grundlage des Seins, der Erfahrungen der Diskursbeteiligten entstehen. Für Habermas stellt der Diskurs die notwendige Grundlage dar, allen am Diskurs beteiligten Akteuren einen Zugang zu Formen kommunikativer Vernunft zur ermöglichen. Über diesen Zugang gelangen die betreffenden Akteure zu neuen Erkenntnissen und vorläufigen Wahrheiten. Diese beiden Säulen des Diskurses werden mit dem Dialogischen Management Ansatz nach Petersen verbunden, um einen Erkenntniszuwachs im bestehenden Theoriefeld zu erreichen. Damit soll diese Forschungsarbeit mit ihrem Bezug auf Diskurs und Lernen als Erfolgsfaktor für bewusste Wahrnehmung von Führungsaufgaben einen Beitrag für individuelle und organisationale Entwicklung leisten.
Author: | Karin Schneider |
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URN: | urn:nbn:de:hbz:386-kluedo-72564 |
DOI: | https://doi.org/10.26204/KLUEDO/7256 |
Advisor: | Jendrik Petersen, Josef Strasser |
Document Type: | Doctoral Thesis |
Language of publication: | German |
Date of Publication (online): | 2023/04/26 |
Date of first Publication: | 2023/04/26 |
Publishing Institution: | Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau |
Granting Institution: | Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau |
Acceptance Date of the Thesis: | 2023/03/06 |
Date of the Publication (Server): | 2023/05/04 |
Tag: | Ambidextrie; Change; Diskursive Haltung; Führen im Change; Führen ist eine Frage der Haltung; Haltung; Paradoxien; Spannungsfeld |
GND Keyword: | BetriebspädagogikGND; OrganisationsentwicklungGND; FührungGND; DiskursGND; CoachingGND; PersonalentwicklungGND; SystemtheorieGND; Empirische ForschungGND |
Page Number: | VI, 228 Seiten |
Faculties / Organisational entities: | Landau - Fachbereich Erziehungswissenschaften |
DDC-Cassification: | 3 Sozialwissenschaften / 370 Erziehung, Schul- und Bildungswesen |
Licence (German): | Creative Commons 4.0 - Namensnennung, nicht kommerziell, keine Bearbeitung (CC BY-NC-ND 4.0) |