Genomische Diversität und Evolution von Virulenzdeterminanten in Streptococcus spp.
Genomic Diversity and Evolution of Virulence Determinants in Streptococcus spp.
- Die kommensalen, in der Mundhöhle lebenden Bakterien-Arten S. mitis und S. oralis zählen zusammen mit dem humanpathogenen Bakterium S. pneumoniae zu den Streptokokken der Mitis-Gruppe (Kawamura et al., 1995). Mitglieder dieser phylogenetischen Gruppe besitzen nachweislich die Fähigkeit zum Austausch von genetischem Material (Whatmore et al., 2000; Hakenbeck et al., 2001; King et al., 2005), was durch die natürliche Kompetenz dieser Streptokokken-Spezies begünstigt wird. Das Ergebnis sind Gene mit Mosaikstruktur ─ ein Indiz für horizontalen Gentransfer. Als Reservoir für solche, in S. pneumoniae auftretende Mosaik-strukturen wurde der Genpool der verwandten, kommensalen Streptokokken identifiziert. Demnach werden Resistenz- und Virulenz-determinierende Sequenzen über Gentransfer und homologe Rekombination auf Pneumokokken übertragen (Dowson et al., 1993; Sibold et al., 1994; King et al., 2005; Chi et al., 2007). Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Spezifizierung von Streptokokken der Mitis-Gruppe. Hierzu wurden mit einer ausgewählten heterogenen Sammlung von oralen S. mitis- und S. oralis-Isolaten vergleichende Genom-Hybridisierungen mittels des kürzlich entwickelten S. mitis B6-Biochips (Denapaite et al., 2010) durchgeführt. Zentraler Aspekt dieser Unter-suchungen war die erstmalige Analyse eines gemeinsamen „Kerngenoms“ aller untersuchten oralen Streptokokken sowie des S. mitis-„Kerngenoms“. Letzteres beinhaltet insgesamt 972 Gene, von denen ein bemerkenswert großer Teil (94 %) auch in S. pneumoniae vorhanden ist. Dies belegt eindeutig die sehr nahe Verwandschaft von S. mitis und S. pneumoniae (Chi et al., 2007; Kilian et al., 2008; Bishop et al., 2009; Denapaite et al., 2010) und stützt die Evolutionstheorie, dass sich S. pneumoniae aus einem spezialisierten S. mitis-Klon entwickelt hat (Denapaite et al., 2010). Das erstmals ermittelte „Gesamt-Kerngenom“ von S. mitis, S. pneumoniae und S. oralis ist mit 386 Genen wesentlich kleiner. Wie die vorliegenden Daten demonstrieren, enthält es eine Reihe von nachgewiesenen S. pneumoniae-Virulenzfaktoren. Die Tatsache, dass S. mitis und S. oralis im Gegensatz zu S. pneumoniae meist apathogen sind, suggeriert, dass in S. pneumoniae erst das Zusammenspiel mehrerer unterschiedlicher Virulenzdeterminanten den bekannten, krankheitserregenden Phänotyp bewirkt. Ein weiteres Ziel war die Analyse der genomischen Varianz der S. mitis- und S. oralis-Stämme. Neben dem S. mitis B6-Chip wurde der S. pneumoniae R6/TIGR4-Chip zur vergleichenden Genom-Analyse eingesetzt. Die Ergebnisse dieser globalen Untersuchungen weisen auf eine große genomische Diversität innerhalb der Mitis-Gruppe hin und bestätigen das Fehlen einer klaren Art-Grenze zwischen S. mitis, S. oralis und S. pneumoniae (Hakenbeck et al., 2001). Ursache für diese genomische Varianz sind inner- und inter-artliche Gentransfer-Ereignisse innerhalb dieser transformierbaren Spezies, die neben Antibiotika-Resistenzgenen wie den pbp auch bestimmte Virulenzgene betreffen. Besonderes Interesse galt der Identifizierung von Pneumokokken-spezifischen Virulenzgenen, wobei an dieser Stelle die Cholin-Bindeproteine PspA, PspC und PcpA, die Hyaluronidase HysA sowie die PiaA-Komponente des Eisen-Aufnahme-Systems PiaA/PiuA zu nennen sind. Zum ersten Mal konnten entscheidende, das Pathogenitätspotenzial betreffende Unterschiede zu den meist nicht krankheitserregenden Kommensalen herausgestellt werden. Einen weiteren wichtigen Punkt der Arbeit bildeten zwei S. mitis-Isolate, für die im Rahmen der Microarray-Analysen gezeigt wurde, dass sie im Besitz der Pathogenitätsfaktoren Pneumolysin (Ply) und Autolysin (LytA) sind. Beide Gene wurden lange Zeit für S. pneumoniae-spezifisch gehalten, liegen auf dem Genom von S. pneumoniae zirka 7 kb voneinander entfernt und werden von einem 94 bp langen „direct repeat“ flankiert (Denapaite et al., 2010). Eine ausführliche Sequenzanalyse der lytA/ply-Region ergab in beiden Fällen eine genetisch ähnliche Organisation wie in S. pneumoniae R6. Zudem konnte gezeigt werden, dass einer der beiden S. mitis-Stämme neben dem chromosomal kodierten lytA ein zweites Prophagen-assoziiertes lytA-Allel besitzt. Die Tatsache, dass im Gegensatz zu S. mitis alle Pneumokokken die „Pathogenitäts- insel“ in ihrem Genom enthalten, bestätigt die oben besprochene Evolutionstheorie: Die lytA/ply-Insel wurde vermutlich vor der Evolution von S. pneumoniae aus S. mitis erworben, wobei der 94 bp „direct repeat“ mit großer Wahrscheinlichkeit die Integrationsstelle darstellt.