Prozeßanalyse und Modellbildung bei der Herstellung gewebeverstarkter, thermoplastischer Halbzeuge

  • Werkstoff- und verarbeitungsspezifische Vorteile gewebeverstärkter, thermoplastischer Faser-Kunststoff- Verbunde bieten ein erhebliches Potential für die Umsetzung konsequenter Leichtbauweisen in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Industrie. In der Regel erfolgt die Herstellung von Bauteilen in einer Prozeßkette, die sich aus den beiden Kernprozesse Verbundbildung (Imprägnierung und Konsolidierung) und Formgebung zusammensetzt. Die Verbundbildung erfolgt mit Hilfe diskontinuierlicher (Autoklav, Etagenpresse) oder kontinuierliche (Kalander, Doppelbandpresse) Verfahren, die z.B. umformbare Halbzeuge wie ORGANOBLECHEN, zur weiteren Verarbeitung bereitstellen. Diese Entkopplung des Imprägnierungsprozesses der Verstärkungstextilien mit thermoplastischer Matrix von der Bauteilherstellung ermöglicht - analog der Blechumformung - eine großserientaugliche Prozeßtechnik mit kurzen Taktzeiten. Alle wesentlichen Eigenschaften des Verbundwerkstoffes werden so während der Halbzeugherstellung determiniert, während die Bauteilherstellung dann nur der Umformung dient. Auf dem Verbundwerkstoffmarkt ist ein Reihe von Halbzeugen mit verschiedenen Eigenschaftsprofilen verfügbar. Infolge des ständigen Wandels der werkstofflichen Anforderungsprofile ist jedoch eine permanente Weiterentwicklung der Halbzeuge notwendig. Hieraus resultiert für die Werkstoffhersteller ein großes technisches und wirtschaftliches Risiko, da die aufwendige Werkstoffentwicklung - aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Grundlagen - mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Derzeit wird die Neuentwicklung von anforderungsspezifischen Halbzeugen mit Hilfe von Trial- and-Error Versuchen hinsichtlich der universellen Prozeßparameter (Temperatur, Zeit und Druck) betrieben. Derartige Versuchsreihen bedingen einen beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Umfang und stellen somit ein wesentliches Entwicklungsrisiko dar. Darüber hinaus sind die Ergebnisse nur für Anlagen gleichen Typs und Bauart uneingeschränkt anwendbar. Eine Übertragbarkeit der Prozeßparameter auf andere Anlagenkonzepte ist nicht gegeben, so daß die Prozeßfenster jeweils immer individuell ermittelt werden müssen. Aufgrund dieser aufwendigen Vorgehensweise werden deshalb intensive Anstrengungen unternommen, die während der Materialherstellung auftretenden Vorgänge mathematisch zu modellieren, um dann durch rechnerische Simulation der Verarbeitungsprozesse eine Abschätzung des energetischen und zeitlichen Aufwandes zu ermöglichen. Daraus ergab sich die Aufgabe, das Imprägnierungs- und Konsolidierungsverhalten gewebeverstärkter, flächiger thermoplastischer Halbzeuge durch umfangreiche Untersuchungen an verschiedensten Materialkombinationen zu analysieren. Ziel war es, die bei der Halbzeugherstellung auftretenden Effekte zu charakterisieren, Ansätze zu deren Modellierung zu entwickeln und Erkenntnisse zur Optimierung der Prozeß- und Materialparameter zu gewinnen. Wesentliche Ergebnisse der Prozeßanalyse sind das Auftreten von transversalen Makro- und Mikroströmen sowie das Entstehen von festigkeits- und steifigkeitsreduzierenden Bindenähten und Lufteinschlüssen. Ferner laufen innerhalb der Faserbündel, temperatur- und druckabhängige Lösungs- und Diffusionsvorgänge bei der Eliminierung der Lufteinschlüsse sowie Wechselwirkungen zwischen elastischen Geweben und strömender Matrix ab. Zentrales Ergebnis der Untersuchung stellt ein abgeleitetes System von funktionalen Abhängigkeiten dar, welches einen ersten, grundlegenden Schritt zur Erstellung eines umfassenden Simulationsmodells des komplexen Prozesses bildet. Hiermit schließt die vorliegende Arbeit erstmals eine Lücke zwischen anlagenspezifischen Versuchsreihen und der allgemeinen numerischen Prozeßsimulation, die es ermöglicht, das Imprägnierungs- und Konsolidierungsverhalten gewebeverstärkter thermoplastischer Halbzeuge auf experimenteller Basis anlagenunabhängig zu beschreiben. Dazu wurden die regelbaren Prozeßgrößen Verarbeitungstemperatur T (°K), Verarbeitungszeit t (s) und Konsolidierungsdruck P (Pa) zu einer dimensionslosen, matrixspezifischen Prozeßkonstanten - B-Faktor (tP/n(T))- zusammengefaßt, die den Verarbeitungszyklus energetisch und zeitlich bilanziert. Diese Vorgehensweise erlaubt die Untersuchung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Prozeßregelgrößen und Imprägnierungsqualität innerhalb bestimmter Grenzen sowie den Vergleich verschiedenartiger diskontinuierlicher und kontinuierlicher Anlagentypen und die Ableitung von Substitutionsbeziehungen zwischen den Regelgrößen. Dabei konnte gezeigt werden, daß die imprägnierungsbedingte Abnahme der Halbzeugdicke in Abhängigkeit des B-Faktors unabhängig von der verwendeten Anlagentechnik einem exponentiellen Gesetz folgt, dessen halbzeugspezifische Regressionskoeflizienten die während der Imprägnierung und Konsolidierung auftretenden Effekte zusammenfassen und die Ableitung optimaler Prozeßeinstellungen erlauben. Damit ist es möglich, für bestimmte Materialpaarungen mit Hilfe des B-Faktors einen Verarbeitungsbereich zu identifizieren, der aufgrund der anlagenunabhängigen Betrachtungsweise der Parameter Temperatur, Imprägnierzeit und Konsolidierungsdruck unter Berücksichtigung verschiedener Randbedingungen prinzipiell auf jede beliebige Anlagenkonfiguration zur Imprägnierung und Konsolidierung übertragen werden kann. Dies schließt deshalb nicht nur diskontinuierliche und kontinuierliche Prozesse zur Herstellung flächiger Halbzeuge, sondern darüber hinaus auch Verfahren zur Weiterverarbeitung dieser Materialien ein. Für jede potentielle Materialpaarung kann, ähnlich wie bei rheologischen Kennwerten für Kunststoffe, mit standardisierten Methoden eine Datenbasis geschaffen werden, die die Abhängigkeit des Imprägnierungsgrades von den Verarbeitungsbedingungen beschreibt. Damit kann der Versuchsaufwand bei der Einführung eines neuen Werkstoffsystems auf einer Anlage reduziert, die Verarbeitung wirtschaftlich optimiert, die Beanspruchung der Werkstoffkomponenten bei der Verarbeitung minimiert und die Einsatzstoffe verarbeitungsgerecht modifiziert werden.
Metadaten
Verfasser*innenangaben:Christoph Mayer
URN:urn:nbn:de:hbz:386-kluedo-47342
ISBN:3-934930-00-X
Schriftenreihe (Bandnummer):IVW-Schriftenreihe (5)
Verlag:Institut für Verbundwerkstoffe GmbH
Verlagsort:Kaiserslautern
Betreuer*in:Manfred Neitzel
Dokumentart:Dissertation
Sprache der Veröffentlichung:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):09.08.2017
Jahr der Erstveröffentlichung:1999
Veröffentlichende Institution:Technische Universität Kaiserslautern
Titel verleihende Institution:Technische Universität Kaiserslautern
Datum der Annahme der Abschlussarbeit:26.04.1999
Datum der Publikation (Server):20.11.2017
Seitenzahl:VI, 154
Fachbereiche / Organisatorische Einheiten:Kaiserslautern - Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik
DDC-Sachgruppen:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 620 Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau
Lizenz (Deutsch):Creative Commons 4.0 - Namensnennung, nicht kommerziell, keine Bearbeitung (CC BY-NC-ND 4.0)